Geschichtswettbewerb und Archive: eine starke Partnerschaft für die lokale Geschichtskultur
Dr. Annekatrin Schaller arbeitet am Stadtarchiv Neuss. Sie ist gemeinsam mit Philipp Erdmann Sprecherin des Arbeitskreises Archivpädagogik im Verband deutscher Archivarinnen und Archivare und außerdem Mitglied des wissenschaftlichen Beirats und der Bundesjury des Geschichtswettbewerbs.
Dr. Philipp Erdmann ist seit 2023 stellvertretender Leiter des Stadtarchivs Münster und dort zuständig für stadtgeschichtliche Forschung und Vermittlung. Gemeinsam mit Annekatrin Schaller ist er Sprecher des Arbeitskreises Archivpädagogik im Verband deutscher Archivarinnen und Archivare.
von Annekatrin Schaller und Philipp Erdmann
Den Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten und die Archive eint das Interesse, Schüler*innen zum Forschen anhand lokalgeschichtlicher Quellen zu motivieren. Durch dieses Anliegen verbunden fanden sie sich schon früh als kongeniale Partner, die sich seither wechselseitig befruchten.
1973 war das, was der Geschichtswettbewerb mit seiner Gründung in der geschichtswissenschaftlichen Landschaft etablierte, ein völliges Novum: das forschend-entdeckende Lernen von Schüler*innen in ihrer eigenen Lebensumgebung anhand originaler Quellen! Dies fiel zeitlich zusammen mit einem Wandel im Selbstbild der Archive hin zu Einrichtungen, die sich über den begrenzten Personenkreis der Fachwissenschaft hinaus zunehmend öffnen wollten für die breite Öffentlichkeit (Behr 1974: 334). Der Geschichtswettbewerb hatte eine „stimulierende Wirkung“ auf diese Entwicklung (Rohdenburg 2000: 226) und trug dazu bei, „Schwellenängste“ abzubauen – sowohl bei den Archiven als auch bei den Schüler*innen (Borries 1990: 95).
Für den Erfolg des Wettbewerbs wiederum spielte die neue Rolle der Archive als Orte aktiven Geschichtslernens für alle Altersgruppen eine bedeutende Rolle. In der ersten Hälfte der 1980er Jahre wurden in ihnen erstmals Stellen für Archivpädagogik eingerichtet. 1988 fand ein erster Erfahrungsaustausch der Archivpädagog*innen in Deutschland statt, aus dem die Archivpädagogikkonferenz und der Arbeitskreis Archivpädagogik und Historische Bildungsarbeit hervorgingen. 1983 war erstmals ein Archivar im wissenschaftlichen Beirat des Geschichtswettbewerbs vertreten. Seither besteht ein reger Austausch und der Arbeitskreis ist als Teil des Verbandes deutscher Archivarinnen und Archivare enger Kooperationspartner des Geschichtswettbewerbs.
Denn: Einerseits benötigen Teilnehmende des Geschichtswettbewerbs und auch ihre Tutor*innen Unterstützung durch diejenigen, die die historische Überlieferung vor Ort kennen – eben die Mitarbeiter*innen in der weitgefächerten deutschen Archivlandschaft. Andererseits fördern die Archive durch ihre aktive Rolle beim Geschichtswettbewerb die Nutzung ihrer Bestände und profitieren wie andere geschichtskulturelle Akteure vor Ort vom Bekanntheitsgrad und der Reputation des Wettbewerbs. Zusätzlich entfaltet der zentral organisierte Geschichtswettbewerb seine Wirkung in der Breite durch lebendige lokale Geschichtskulturen, in denen regelmäßige Wettbewerbsteilnahmen ihren festen Platz haben (Ludwig 2018: 24). Um dies zu ermöglichen, braucht es neben engagierten Schüler*innen und Lehrkräften Einrichtungen vor Ort, die Themen auf das unmittelbare Lebensumfeld anwendbar machen, den jungen Forschenden Quellen und Raum für Forschungen bieten und den Beitrag der Schüler*innen idealerweise auch für die lokale Geschichtskultur sichtbar machen. Konkret heißt das für die Archive: Sie erstellen auf Grundlage ihrer Bestände Themen- und Quellenlisten zu den jeweiligen Wettbewerbsthemen, bieten Führungen oder Schulungen für Lehrkräfte und potenzielle Teilnehmende an, pflegen den Kontakt zu Schulen und versuchen durch Sonderöffnungszeiten, Workshops oder Ähnliches die Hürden eines Archivbesuchs für Schüler*innen möglichst gering zu halten.
Und auch nachdem die Wettbewerbsbeiträge zur Begutachtung eingereicht sind, können Archive vor Ort für die Sichtbarmachung dieser jungen Forschungsergebnisse sorgen: Das Stadtarchiv Münster etwa sammelt alle in der Stadt entstandenen Wettbewerbsbeiträge unabhängig von etwaigen Auszeichnungen und präsentiert diese zusammen mit dem Institut für Didaktik der Geschichte an der Universität Münster in einer Datenbank. Im Aktionsraum der Kommunalarchive an der Schnittstelle von Politik, Verwaltung und Bürger*innenschaft können Archivar*innen zudem Vorschläge einbringen, wie sich die Forschungen der Schüler*innen in Gedenkveranstaltungen, in Straßen(um)benennungen oder im Umgang mit fragwürdigen Denkmälern berücksichtigen lassen. Im Sommer 2021 wurde beispielsweise die Wanderausstellung „Zwischen Erfolg und Verfolgung. Jüdische Stars im Sport bis 1938 und danach“, die unter anderem von der DFB-Kulturstiftung erstellt wurde, in Münster gezeigt. Schüler*innen, die sich im Rahmen des Geschichtswettbewerbs mit jüdischen Sportler*innenbiografien aus Münster beschäftigt hatten, konnten ihre Forschungsergebnisse im Rahmenprogramm der Ausstellung präsentieren. Auf diesem Weg partizipieren Wettbewerbsteilnehmende aktiv an den lokalen Geschichtskulturen und ihre Beiträge werden als Forschungsleistung gewürdigt und sichtbar gemacht (Handro 2019: 296). Kommunen und ihre Archive wiederum zeigen, dass sie die Perspektiven der jüngeren Bürger*innen ernst nehmen. Vom selbstbewussten Auftritt der Archive im Umfeld des Geschichtswettbewerbs profitieren alle Seiten.
Eine besondere Form der Wertschätzung: Münsters Oberbürgermeister würdigt mit einem Festakt und einer Dokumentation alle Teilnehmenden des Geschichtswettbewerbs, unabhängig von etwaigen Auszeichnungen, hier im Rathaus Münster im Juni 2023. © Stadt Münster
Literatur
Behr, Hans-Joachim: Möglichkeiten der Archivbenutzung für den Schulunterricht. Erfahrungen in norddeutschen Archiven, in: Archivar, Jg. 27 (1974), H. 3, S. 334–346.
Borries, Bodo von: Deutsche Geschichte. Spuren suchen vor Ort im Schülerwettbewerb um den Preis des Bundespräsidenten, Frankfurt a.M. 1990.
Handro, Saskia: Kinder und Jugendliche machen Geschichte! Geschichtswettbewerbe als partizipative Ressource, in: Minner, Katrin (Hrsg.): Public History in der Regional- und Landesgeschichte, Münster 2019, S. 295–327.
Ludwig, Carmen: Geschichte demokratisch erforschen. Der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten, in: Beutel, Wolfgang/Tetzlaff, Sven (Hrsg.): Schülerwettbewerbe zur Demokratiebildung, Frankfurt a.M. 2018, S. 21–27.
Rohdenburg, Günther: „… sowohl historisch als auch pädagogisch, didaktisch und archivarisch qualifiziert …“ Zur Geschichte der „Archivpädagogen“ als Mitarbeiter der historischen Bildungsarbeit an Archiven, in: Archivar, Jg. 53 (2000), H. 3, S. 225–229.